Die Anzahl der in Deutschland zugelassenen Elektrofahrzeuge und Plug-in-Hybride steigt stetig. 2019 wurden laut Electrive.net über 75% mehr Elektrofahrzeuge zugelassen als im Vorjahr. Trotzdem hinkt Deutschland in Sachen Elektromobilität anderen Märkten zum Teil klar hinterher, schließlich hat Deutschland auch heute noch deutlich weniger Ladepunkte als die Niederlande. Um das zu ändern, hat der Stuttgarter Automobilzulieferer Mahle ein System vorgestellt, mit dem sich die Anzahl der Ladepunkte signifikant steigern lässt: Mahle chargeBIG.
Mahle ist eigentlich für seine Kompetenzen im Bereich des Verbrennungsmotors bekannt und gehört auf diesem Feld zu den größten Zulieferern weltweit. Pleuel, Kolben, Ventile – damit kennt man sich in der baden-württembergischen Landeshauptstadt aus. Doch bei Mahle hat man erkannt, dass sich mit der alleinigen Konzentration auf Bauteile für Verbrennungsmotoren bald kein Hof mehr machen lässt. So gehören elektrische Antriebssysteme inzwischen ebenfalls zum Repertoire der Schwaben.
Man hat gleichfalls erkannt, dass der Elektromobilität nur zum Durchbruch im Massenmarkt verholfen werden kann, wenn man immer und überall laden kann, wenn das Auto steht. Und stehen tut das durchschnittliche Fahrzeug die meiste Zeit seines Autolebens. Ergo wäre es doch sinnvoll, ein Elektrofahrzeug immer dort zu laden, wo es die meiste Zeit parkt: Bei der Arbeit, in städtischen Parkhäusern, bei Shopping-Centern oder bei anderen Freizeitmöglichkeiten. Bei entsprechender Abdeckung und Zugänglichkeit könnte man sogar auf eine heimische Lademöglichkeit verzichten.

Von der Idee bis zur Umsetzung im internen Start-Up
Mit diesen Überlegungen konzipierte ein firmeninternes Start-Up das chargeBIG-Ladesystem. Das System sollte möglichst günstig sein, um eine umfangreiche Skalierung zu ermöglichen. Wenn die Fahrzeuge beispielsweise auf Arbeit im Durchschnitt acht Stunden parken, dann muss auch die Ladeleistung nicht exorbitant hoch sein, um die durchschnittliche, tägliche Fahrstrecke nachzuladen. Außerdem sollte das Ladesystem über ein Lastmanagement verfügen, um (teure) Leistungsspitzen zu vermeiden und netzdienliches Laden zu ermöglichen.
All diese Überlegungen mündeten letztlich in chargeBIG. Wenn die Standzeiten lang sind, muss die Ladeleistung nicht hoch sein, um eine Batterie über den Tag zu laden. Da die Anschlussleistung eines Standorts ebenfalls nicht ohne größere Umbaumaßnahmen beliebig skalierbar ist, regelt ein Lastmanagement die Verteilung der Anschlussleistung an die einzelnen Ladepunkte. Außerdem gilt ganz klar die Priorität: Anzahl Ladepunkte vor Ladeleistung. Denn was bringen zwei Alibi-Ladesäulen mit 22 kW in einem Firmenparkhaus, wenn kaum ein Fahrzeug mit dieser hohen AC-Ladeleistung laden kann und aufgrund der begrenzten Anzahl von Ladepunkten nur wenige Fahrer die Lademöglichkeit tatsächlich nutzen können. Schließlich kommt es immer häufiger vor, dass aufgrund der steigenden Zulassungszahlen sämtliche Ladepunkte in Parkhäusern und auf Parkplätzen belegt sind. Dies führt dazu, dass man angehalten ist, sein Fahrzeug nach dem Ladevorgang umzuparken, möchte man möglichst vielen Fahrern die Lademöglichkeit zur Verfügung stellen.

Nicht nur ein Show-Case: Das Mahle-Mitarbeiterparkhaus mit 100 Ladepunkten
Genau auf diesen Use-Case – große Parkhäuser und Parkplätze mit langen Parkzeiten – wurde chargeBIG optimiert. Als Beweis, dass das System funktioniert, wurde das nicht ganz taufrische Mahle Mitarbeiterparkhaus mit chargeBIG ausgerüstet und Mitte Juli 2019 feierlich in Betrieb genommen. Ich war ebenfalls exklusiv vor Ort und konnte mir ein Bild vom Parkhaus der Zukunft machen. Sage und schreibe 100 Ladepunkte versorgen nun die Elektroautos und Plug-In-Hybride der Mitarbeiter und der Firmenflotte mit Strom. Die meisten Ladepunkte verfügen dabei über eine einphasige, geregelte Anschlussleistung von 2,3 bis 7,2 kW (10 bis 32 A). Eine kleine Anzahl von Ladepunkten bietet (ungeregelte) 22 kW Ladeleistung. Zusätzlich steht ein DC-Schnelllader mit satten 120 kW zur Verfügung – falls der Akkustand mal niedrig und die zu fahrende Strecke besonders lang ist. Somit ist sichergestellt, dass für jeden Use-Case die richtige Ladeleistung bereitgestellt werden kann.

Anders als bei bisherigen Lösungen verfügt jeder Parkplatz praktischerweise über ein fest angeschlagenes Kabel. Das Hantieren mit dem eigenen Ladekabel kann somit entfallen. Die Steuerung der Ladepunkte erfolgt in zentralen Schaltschränken, in denen auch das Lastmanagement untergebracht ist. An eine dieser Steuereinheiten können dabei bis zu 36 Ladepunkte angeschlossen werden. Falls erforderlich wird bedarfsgerecht die Leistung der einzelnen einphasigen Ladepunkte reduziert. Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Kostenvorteil der zentralen Steuereinheiten ist die bessere Wartbarkeit. Anstatt die Elektrik jeder einzelnen Wallbox oder Ladesäule einzeln zu prüfen, reicht bei chargeBIG eine Sichtprüfung der Ladekabel an den Ladepunkten. Die restlichen elektrischen Wartungsarbeiten können zentral an den Steuereinheiten erfolgen.

Erste Feuerprobe bei der Eröffnung: Dutzende E-Autos und Plug-in-Hybride am Netz
So war dann auch die Eröffnungsveranstaltung die erste große Feuerprobe für das Ladesystem. Elektroautos und Plug-in-Hybride aller Varianten wollten gleichzeitig geladen werden – was problemlos funktionierte. Neben der 200 kW Netzanschlussleistung des Parkhauses, die für die Ladeinfrastruktur zur Verfügung steht, sorgt ein zusätzlich angeschlossener Batteriespeicher mit 60 kW Leistung und 66 kWh Energieinhalt für die Glättung von Lastspitzen. In Zukunft soll eine PV-Anlage mit fast einhundert Kilowatt Spitzenleistung den Netzanschluss weiter entlasten.

Mit der überzeugenden Umsetzung konnte Mahle bereits erste Kunden gewinnen. So wird der Stuttgarter Flughafen ebenfalls chargeBIG mit bis zu 110 Ladepunkten einsetzen, um Flotten- und Mitarbeiterfahrzeuge zu laden.
Es bleibt zu hoffen, dass immer mehr Firmen auf Lösungen wie chargeBIG setzen, um die Anzahl der Ladepunkte zu erhöhen. Damit Deutschland nicht dauerhaft den Vergleich mit dem holländischen Nachbarn in Sachen Elektromobilität scheuen muss.


Weiterführende Links:
- Mehr zum Laden von Elektroautos auf Generation Strom.
- Elektromobilität am Flughafen Stuttgart – Update
Disclaimer:
Dieser Artikel erschien in seiner ursprünglichen Fassung im Magazin Elektroautomobil (Ausgabe 05/2019, www.elektroautomobil.com). Das Magazin Elektroautomobil erscheint alle zwei Monate im Zeitschriftenhandel und kann hier abonniert werden.
Fotos und Grafiken (wenn nicht anders gekennzeichnet): © GenerationStrom.com
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