Das Netto vom Brutto – So definiert sich die nutzbare Energie eines Akkus

Die „Größe“ der Batterie eines Elektroautos wird in Kilowattstunden angegeben – soweit, so gut. Doch ist die Vergleichbarkeit verschiedener Fahrzeugbatterien mit allein dieser Angabe noch nicht gewährleistet. Wer wirklich Äpfel mit Äpfeln vergleichen möchte, muss daher die Unterschiede zwischen Brutto- und Netto-Energieinhalt einer Batterie kennen.

Brutto und Netto – einmal mehr und einmal weniger. Was auf der monatlichen Gehaltsabrechnung eine entscheidende Rolle spielt, ist auch bei den Batterien von Elektroautos zu berücksichtigen, möchte man anhand dieser beispielsweise die Reichweite des Fahrzeugs abschätzen.

Worin liegt also der Unterschied zwischen Brutto- und Netto-Energieinhalt?

Dazu muss man sich eine elektrochemische Zelle – der elementarste Bestandteil der Batterie – genauer anschauen. Der Hersteller einer typischen Lithium-Ionen-Zelle gibt für diese einen Spannungsbereich an, in der die Zelle betrieben werden darf, ohne dass eine Schädigung oder übermäßige Alterung der Zelle auftritt. Dieser Spannungsbereich liegt bei Lithium-Ionen-Zellen typischerweise zwischen 3,0 Volt und 4,2 Volt. Je nach gewählter Zellchemie können die Spannungsgrenzen auch um einige Millivolt variieren. Bei 4,2 Volt ist die hier betrachtete Zelle zu 100% geladen, bei 3,0 Volt ist sie komplett leer, was einem Ladezustand bzw. SOC (= State of Charge) von 0% entspricht.

In diesem vom Zellhersteller freigegebenen Spannungsfenster wird nun die Kapazität der Zelle ermittelt, also die maximal mögliche Entnahmemenge der Energie. Man spricht hier von Brutto-Energieinhalt bzw. von der Bruttokapazität. Bei dem SOC-Bereich, der die Brutto-Energie definiert, wird auch vom „technischen SOC“ gesprochen.

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Je kleiner das tatsächlich genutzte Energiefenster ausfällt, desto länger hält die Zelle.

Nun ist der Batterie- und Fahrzeughersteller gefragt, wie er diese Zelle einsetzen möchte. Der Fahrzeughersteller muss Vorgaben hinsichtlich der Zyklenanzahl (Anzahl vollständiger Entladezyklen einer Zelle) an den Batteriehersteller definieren. Dieser muss nun abwägen, wieviel der Brutto-Energie er für die Fahrzeuganwendung tatsächlich freigibt. Denn für Lithium-Ionen-Zellen gilt grundsätzlich: Je kleiner das tatsächlich genutzte Energiefenster ausfällt, desto länger hält die Zelle – und damit die Batterie. Dieser tatsächlich nutzbare Energieinhalt der Batterie entspricht damit der Netto-Kapazität bzw. dem Netto-Energieinhalt. Eine Busbatterie muss daher anders ausgelegt werden, als die Batterie für einen Kleinwagen. Bei dem tatsächlich nutzbaren SOC-Bereich wird daher auch von „nutzbarem SOC“ oder auch „Kunden-SOC“ gesprochen.

Ein einfaches Mittel, die Lebensdauer der Batterie zu verlängern, ist also das Netto-Energiefenster einzuschränken, was allerdings unmittelbar zu Lasten der Reichweite des Fahrzeugs geht. Auch kostenseitig muss dies genau betrachtet werden, da der Zellhersteller für die Brutto-Energie und nicht für die Netto-Energie bezahlt wird.

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Der Mercedes-Benz B 250 e war optional mit der „RANGE Plus“-Funktion ausgestattet. Diese sorgte für eine temporäre Erhöhung des nutzbaren SOC-Bereichs von 78% auf 93% des technischen SOC. Ein Kompromiss aus Alterung und Reichweitenerhöhung. Die Taste musste vor dem Ladevorgang gedrückt werden, dann wurde die Batterie voller geladen als sonst. Die NEFZ-Reichweite erhöte sich dadurch von 200 km auf 230 km.

Weitere Überlegungen betreffen die Sicherheit. Eine Überladung der Zelle ist in jedem Fall zu verhindern, da dies ein Sicherheitsrisiko darstellt. Auch hier hilft ein kleiner Puffer, um die Sicherheit der Batterie zu erhöhen. Ebenso darf es zu keiner Tiefentladung (Entladung der Zelle unter 0% technischem SOC) kommen, da diese zu einer übermäßigen Alterung, schlimmstenfalls zu einer irreversiblen Schädigung der Zelle führen kann. Dies sind Gründe, warum im Normalfall einer kleiner Puffer im oberen SOC- und im unteren SOC-Bereich vorgehalten wird.

Diese Puffer können auch die Fahrbarkeit des Elektroautos verbessern. Bei entsprechender Auslegung kann so bei 100% nutzbarem SOC noch eine Rekuperation zugelassen werden, ohne dass eine Überladung der Zelle droht. So wurde beispielsweise die Batterie des Opel Ampera / Chevrolet Volt der ersten Generation ausgelegt. Bei einem nutzbaren SOC-Hub von lediglich 50% bis 60% bleibt viel Reserve für solche Funktionen.

Opel Ampera mit Ladekabel
Beim Opel Ampera bzw. dem Chevrolet Volt können nur rund 50 % bis 60 % der Batterie genutzt werden – zugunsten der Alterung. Dadurch kann aber auch bei hohem (nutzbarem) SOC noch mit vergleichsweise hoher Leistung rekuperiert werden.

Auch bei niedrigen Ladezuständen kann das Fahrerlebnis von einer Beschränkung der Brutto-Energie profitieren. Elektrochemische Zellen weisen bei einem niedrigen Ladezustand typischerweise eine geringere Leistung auf, als bei hohen SOCs. Wird die nutzbare Energie der Batterie nun beispielsweise auf 5% technischen SOC beschränkt, so bleibt immer noch eine Energie-Reserve, mit der der E-Mobilist im Notfall die letzten paar Meter zur Ladesäule fahren kann. Dies ist allerdings stark abhängig von der Umsetzung durch den Autohersteller.

Auslegungsbeispiel Kia e-Niro

Für den Kia e-Niro sind zwei Akkupakete verfügbar. Der kleine Akku bietet einen Energieinhalt von 39,2 kWh und eine Reichweite von 289 km nach WLTP. Für die garantierte Lebensdauer über 150.000 km muss der Akku also rund 520 Entladezyklen aushalten.

Bei der größeren Batterie mit 64 kWh und einer WLTP-Reichweite von 455 km sind für die gleiche Distanz nur noch 330 Entladezyklen erforderlich.

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Den Kia e-Niro gibt es mit zwei verschiedenen Batterievarianten mit 39,2 kWh und 64 kWh nutzbaren Energieinhalts.

Wenn die größere Batterie auf weniger Zyklen ausgelegt werden muss, dann kann auch das Netto-Energiefenster erweitert werden, was wiederum für eine größere Reichweite sorgt. Ein Stück weit verstärkt sich dieser Effekt also im positiven Sinne selber.

Auch wenn Kia keine offiziellen Angaben zur Brutto-Energie der beiden e-Niro-Varianten macht, ist es naheliegend, dass die größere Batterie einen größeren nutzbaren SOC-Hub aufweist, als die kleine Batterie.

Fazit

Leider gibt kaum ein Hersteller den Netto- und Brutto-Energieinhalt seiner Batterien an, was häufig zu Verwirrungen führt. Im Prospekt steht oft der Brutto-Energieinhalt – da sich eben dieser nach mehr anhört. Dies führt allerdings dazu, dass man nicht ohne weiteres anhand des Verbrauchs des Fahrzeugs auf die tatsächliche Reichweite schließen kann. Für die Reichweitenangaben, die Zertifizierung des Fahrzeugs und für die Ladezustandsanzeige wird nämlich immer die Netto-Energie herangezogen. Aus Sicht des Kunden wäre daher eine verbindliche Angabe von Brutto- und Netto-Energieinhalt der Batterie wünschenswert. Bei Verbrennerfahrzeugen wird bekanntlich auch das Tankvolumen mit und ohne Reserve angegeben.

Dieser Artikel erschien in seiner ursprünglichen Fassung im Magazin Elektroautomobil (Ausgabe 02/2019, www.elektroautomobil.com).

Abbildungen und Fotos: © Elektroautomobil und © GenerationStrom.com

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