Das Bierglasmodell: So funktioniert eine elektrochemische Zelle

Diesen Beitrag habe ich im Rahmen des ScienceBlogs Blog-Schreibwettbewerbs 2017 eingereicht und hier den elften Platz belegt, wobei besonders die Leserstimmen hervorzuheben sind. An dieser Stelle vielen Dank für eure Unterstützung, ohne die diese tolle Platzierung nicht möglich gewesen wäre und natürlich an Florian Freistetter für die Organisation und Umsetzung dieses Wettbewerbs! Da ich diesen Beitrag diesem Blog nicht vorenthalten möchte, veröffentliche ich ihn hier noch einmal.

Die elektrochemische Zelle ist der wichtigste Bestandteil einer Batterie für Elektrofahrzeuge. Doch wie funktionert so eine Zelle eigentlich und welchen Einfluss hat dies auf die Batterie? Mit Hilfe des „Bierglasmodells“ möchte ich die Funktionsweise veranschaulichen.

Die Zukunft der (Auto-)Mobilität ist elektrisch. Egal ob Hybrid, Plug-In-Hybrid, Elektroauto oder Brennstoffzellenfahrzeug – alle Fahrzeuge benötigen einen Energiespeicher, der die notwendige elektrische Energie speichert. Dabei haben Hybride und Elektrofahrzeuge völlig unterschiedliche Anforderungen an diesen Energiespeicher, welcher (fast) immer aus einem elektrochemischen Speicher besteht. Die wichtigsten Elemente dieser Energiespeicher sind dabei die elektrochemischen Zellen – die kleinsten Einheiten einer Batterie. Diese bedingen wesentliche Eigenschaften der Batterie und damit auch des (teil-)elektrifizierten Fahrzeugs: Leistung, Reichweite, Gewicht, Preis – um nur einige Punkte zu nennen. Aber wie funktioniert so eine Zelle eigentlich?
Um die Funktionsweise einer Zelle zu verdeutlichen, möchte ich euch anhand des Bierglasmodells die wichtigsten Eigenschaften erläutern.

Die Maß ist voll!

Fangen wir zunächst mit einem einfachen Wert an: dem Ladezustand. Der Ladezustand – oder State of Charge (kurz: SOC) – ist sowohl für Elektroautos- als auch für Smartphone-Nutzer eines der meistbeachteten Werte. Er zeigt an, welche Restmenge an elektrischer Ladung sich noch in der Batterie bzw. der Zelle befindet.
Analog dazu ist die Füllmenge eines Bierglases zu betrachten. Ist das Glas voll, spricht man üblicherweise von einem SOC von 100%. Ist das Glas leer, sind es entsprechend 0%. Dazwischen kann der SOC linear interpoliert werden.

Bierglasmodell1_voll_halbleer
Das linke Bierglas weist einen SOC von 100% auf, das rechte ist noch zu ca. 50% gefüllt.

Der Ladezustand zeigt also an, wie voll oder leer die Zelle ist. Um den Ladezustand einer Zelle festzustellen, muss ich die Spannung der Zelle ermitteln, da Ladezustand und Spannung der Zelle direkt zusammenhängen. Man stelle sich dazu die Füllhöhe eines Bierglases vor. Dieser Zusammenhang ist normalerweise – wie bei einem konisch geformten Bierglas – nicht linear. Um den Zusammenhang aus Spannung (= Füllstandshöhe) und Ladezustand (= Restmenge im Bierglas) zu linearisieren, muss ich die Füllstandshöhe auf den relativen Wert des Ladezustands übertragen: Man spricht von der SOC-OCV-Kennlinie.

Bierglasmodell2_SOC_OCV
Aufgrund der konischen Form des Bierglases kann anhand der Füllhöhe nicht direkt auf die (relative) Restbiermenge geschlossen werden.

Die unbelastete Spannung einer Zelle wird OCV genannt: Open Circuit Voltage. Dies bedeutet in der Sprache des Bierglasmodells, dass ich diese Spannung ermittle, wenn nicht aus dem Bierglas getrunken wird, da ich sonst keinen verlässlichen Messwert erhalte. Für die Zelle bedeutet dies, dass ich im Moment der Messung der Zelle keinen Strom entnehme.

Und noch einen wichtigen Zusammenhang gibt es: Die Spannung einer Zelle darf nie 0V werden, da die Zelle sonst irreparabel defekt wäre. Lithium-Ionen-Zellen werden üblicherweise in einem Spannungsbereich von ca. 3,0 Volt (SOC = 0%) bis 4,2 Volt (SOC = 100%) betrieben. Dies ist auch der Bereich, auf den sich die weiteren Kennwerte der Zelle beziehen.

Im Bierglasmodell würde das heißen, dass ich ein Bierglas mit 0,5 Litern Fassungsvermögen eigentlich nur im Bereich zwischen 0,3 und 0,5 Liter betreiben würde. Über die 0,5 Liter hinaus darf ich das Bierglas auch nicht befüllen, da es sonst Überladen wäre. In diesem Bereich würde ich eine Zelle ebenfalls schädigen.

Zum besseren Verständnis, und weil es auch der üblichen vorgehensweise entspricht, definieren wir für den weiteren Beitrag das leere Bierglas mit dem SOC von 0% und das volle Bierglas mit dem SOC von 100%.

Merke:

  • State of Charge (SOC): Status der Biermenge im Glas (linearer Zusammenhang zur verbleibenden Biermenge)
  • Open Circuit Voltage (OCV): Füllstandshöhe im Bierglas (nicht-linearer Zusammenhang zur verbleibenden Restmenge)

Maß oder Kölsch?

Die vielleicht wichtigste Kennziffer einer Zelle betrifft die Kapazität, welche für gewöhnlich in der Einheit Amperestunden [Ah] angegeben wird. Diese beschreibt, wie viele elektrische Ladungen eine Zelle enthält und ich der Zelle entnehmen kann, um damit bspw. einen Motor anzutreiben. Nehmen wir einmal an, unsere Zelle würde über 50 Ah verfügen. Dann könnte ich dieser Zelle eine Stunde lang fünfzig Ampere (das entspricht der Ladungsmenge) entnehmen:

\frac{50Ah}{50A}=1h

Würde ich 100A der Zelle entnehmen, so wäre diese nach 30 Minuten leer:

\frac{50Ah}{100A}=0,5h=30min

Die Kapazität der Zelle ist somit auch gleichzeitig ein Maß (jetzt ist nicht das Bierglas gemeint 😉 ) für die gespeicherte elektrische Energie. Je höher die Kapazität, desto größer ist auch die gespeicherte elektrische Energie, welche in der Sprache von Batterieentwicklern Energieinhalt genannt wird. Der Energieinhalt wird in Wattstunden (Wh) ausgedrückt und errechnet sich aus der Multiplikation der Kapazität mit der mittleren OCV-Spannung. Im Bierglasmodell wäre dies also ungefähr die Füllhöhe, die sich einstellt, wenn das Glas noch halb voll ist. Diese mittlere OCV-Spannung wird Nennspannung genannt und sehr häufig neben der Kapazität der Zelle angegeben. Eine Lithium-Ionen-Zelle weist hier üblicherweise Spannungen zwischen 3,6 und 3,7 Volt auf.

Als Analogon aus unserem Bierglasmodell möchte sich der geneigte Leser – Sie ahnen es – eine Maß und ein Kölschglas vorstellen. Das Volumen kann dabei als die Kapazität aufgefasst werden – also die maximale Menge an Ladungen, die ich in diesem Glas – bzw. der Zelle – speichern kann:

Bierglasmodell3_Kapazitaet
Die Kapazität der Maß (1 Liter) liegt deutlich über der Kapazität des Kölschglases (0,2 Liter), entsprechend ist in der Maß eine größere Energiemenge gespeichert.

Die Maß entspricht dabei eher einer großen Zelle für ein Elektrofahrzeug, welches hohe Mengen an Ladungen speichern muss. Das Kölschglas kann man mit einer kleinen Zelle für ein Hybridfahrzeug gleichgesetzt werden.

Gemütlichkeit oder schneller Durstlöscher?

Damit kommen wir zu einer weiteren wichtigen Eigenschaft einer Zelle – der Leistung. Diese wird in Watt [W] angegeben. Die Leistung lässt sich wunderbar an einem Maß- und Kölschglas verdeutlichen. Wie bereits erwähnt, verfügen Hybridfahrzeuge eher über kleine Zellen, die über eine vergleichsweise geringe Kapazität verfügen. Im Gegenzug können diese Zellen aber sehr schnell ihre Energie abgeben oder eben wieder aufgefüllt werden.

Man stelle sich folgendes, zugegeben etwas stereotypisches Bild vor: Der gemütliche Bayer in seinem Bierzelt und seinem Maßkrug in der Hand hat dieses sicherlich nicht so schnell geleert wie fünf Kumpel, die nach einer langen Schicht mit verdorrten Kehlen aus der Grube kommen und ruck-zuck fünf Kölsch inhaliert haben. Beide Male wurde die gleiche Kapazität (= die gleiche Ladungsmenge) getrunken.

Ein Kölschglas ist nun mal schneller geleert und wieder gefüllt als eine Maß, allerdings muss hierfür ein höherer Aufwand betrieben werden. Um auf die gleiche Kapazität zu kommen, muss ich fünf Kölschgläser (= 5 Leistungszellen) parallel befüllen und habe damit auf dem Tablett (= Batterie) sicherlich mehr Platz verbraucht, als mit einem Maßkrug (= 1 Energiezelle). Das bedeutet: Leistungszellen sind zwar kleiner und schneller gefüllt bzw. geleert als Energiezellen, aber ich muss dafür mehr Aufwand betreiben und benötige mehr Platz und Gewicht. Daher ist es bei der Auslegung sehr wichtig zu wissen, was das Ziel ist: Entweder möchte ich schnell kleine Mengen an Strom speichern und wieder abgeben – wie bspw. bei einem Hybridfahrzeug – dann nehme ich Leistungszellen (Kölschglas). Möchte ich aber über einen langen Zeitraum kontinuierlich der Zelle Energie entnehmen – wie eben in einem Elektrofahrzeug – dann verbaue ich Energiezellen (Maßkrug). Liegen die gewünschten Eigenschaften irgendwo dazwischen, wie bspw. bei einem Plug-In-Hybrid, dann nehme ich entsprechend eine Zwischenlösung – z.B. ein klassisches 0,33er oder 0,5er Bierglas.

Druckbetankung

Vor allem für Elektroautos spielt die Schnellladefähigkeit eine zentrale Rolle. Von einer Schnellladung spricht man normalerweise im Zusammenhang mit einer Gleichstromladung mit hohen Leistungen, die derzeit vor allem durch die Tesla Supercharger bekannt ist.

Häufig wird dabei in Datenblättern die Ladezeit von 0 bis 80% SOC angegeben – aber warum eigentlich nur bis 80% und nicht bis 100%? Dies liegt am Innenwiderstand einer Zelle. Jede Zelle weist einen Innenwiderstand auf, der zwar sehr niedrig ist, aber in Kombination mit einem hohen Strom dennoch entscheidende Auswirkungen auf die Nutzbarkeit der Zelle hat.

Dazu kurz zur Theorie: Eine ideale Zelle würde einen Innenwiderstand von 0 Ohm aufweisen. Da wir aber nicht in einer idealen Welt leben, beträgt dieser einige Milliohm – also tausendstel Ohm. Das ist immer noch sehr niedrig.

Bei einem typischen Schnellladevorgang wird zunächst versucht die maximale Menge an Strom, die meine Ladesäule hergibt bzw. meine Batterie aufnehmen kann, in die Batterie zu laden. Das Laden mit einem konstanten Strom wird dabei als Constant-Current-Laden (kurz: CC-Laden) bezeichnet.

Nun benötigen wir das Ohmsche Gesetz: Beim Laden mit hohen Leistungen und somit hohen Strömen (Formelzeichen: I_Lade), fällt über den Innenwiderstand (R_i) eine Spannung (U_Ri) ab, was sich in folgender Formel ausdrückt:

U_{Ri}=I_{Lade}*R_i

Dieser U_Ri addiert sich dabei zu meiner OCV-Spannung U_OCV meiner Zelle. Wie wir bereits festgestellt haben, steigt meine OCV-Spannung aber mit steigendem Ladezustand an. Das wäre alles nicht so schlimm, wenn nicht irgendwann durch die Summe von U_OCV und U_Ri eine so hohe Spannung erreicht würde, dass meine Zelle nachhaltig beschädigt oder sogar zerstört werden könnte. Da ich am Innenwiderstand nicht viel drehen kann (der ist nunmal einfach da), kann ich nur den Ladestrom verringern, wodurch sich wiederum U_Ri reduziert und somit auch meine Gesamtspannung aus U_OCV und U_Ri.

Dieses Justieren der maximalen Spannung wird übrigens Constant-Voltage-Laden genannt (kurz: CV-Laden). Die Kombination aus CC- und CV-Laden heißt demnach folgerichtig CC-CV-Laden.

Bierglasmodell4_CC_Laden
Zunächst kann das Weizenglas mit vollem „Ladestrom“ befüllt werden. Man spricht vom Constant-Current-Laden.

Nun zu der Bierglasanalogie: Jeder Biertrinker weiß, wie er ein Weizenbier einzuschenken hat. Zunächst kann ich eine relativ große Menge aus der Weizenflasche in mein Glas gießen (CC-Laden). Der Füllstand (OCV) steigt schnell an, allerdings bildet sich auch sofort Schaum (Spannungsabfall über den Innenwiderstand U_Ri). Irgendwann steigt der Schaum der Bierkrone immer weiter nach oben, bis er den Bierglasrand erreicht (meine maximale Zellenspannung). Nun muss der Weizenbiertrinker den Ladestrom reduzieren und so langsam das Weizen nachfüllen, dass kein Bier aus dem Glas schwappt. Dies ist der Wechselpunkt vom CC- zum CV-Laden. Immer langsamer wird das Bier also ins Bierglas gegossen, bis es nur noch tröpfchenweise eingefüllt werden kann.

Bierglasmodell5_CV_Laden
Erreicht der Schaum den Bierglasrand, welcher meine maximale Zellenspannung darstellt, muss der „Ladestrom“ reduziert werden, weshalb man hier vom Constant-Voltage-Laden spricht.

Nun bemerkt man schnell die Krux an der Sache: Das letzte Quentchen Bier in das Glas zu füllen hat fast soviel, wenn nicht sogar noch mehr Zeit gekostet, als die ersten 80% des Bieres. Aus genau diesem Grund wird die Schnellladung immer von 0 bis 80% angegeben, da dies der Bereich ist, in dem ich das Bierglas schnell befüllen kann. Wenn die Zeit knapp ist, lohnt es sich nicht mehr ewig auf die letzten 20% zu warten, weshalb man besser weiter trinkt (oder fährt), um dann bei einem nächsten Ladevorgang wieder die ersten, schnell nachladbaren 80% auszunutzen.

Wenn ihr euch also mal wieder fragen solltet, wie eine Zelle funktioniert, dann macht euch doch einfach eine Flasche Bier auf versucht die hier dargestellten Beispiele nachzubilden. Aber nicht vergessen: Don’t drink and drive!

Danksagung: Vielen Dank an Dominik für die Inspiration und an Kristin und Mario für die Unterstützung bei der Bier-Foto-Session.

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